Wir schreiben Montag den 15.Januar 1973. Heute ist mein erster
Arbeitstag in der UHA Oranienburg. Unser ABV hat viele
Gespräche mit mir geführt, bis ich schließlich einverstanden
war. Die Woche begann wie schon so oft in diesem Winter. Die
Temperaturen lagen jetzt, um 17.30 Uhr, bei minus 12 °C. Zum
Abend fing es an zu schneien und ein Sturm begann.
Das Wetter war mehr dazu geeignet im Bett zu liegen und unter
der Decke zu kuscheln. Aber nein, Volker musste zum
Nachtdienst. Das erste Mal eintauchen in diese fremde Welt.
Meine Nacht verbringen mit Verbrechern und Ganoven. Ich war
gespannt.
Pünktlich um 18.30 Uhr stand ich vor dem Knast. Ein düsterer
Bau aus roten Ziegeln. Die Fenster waren natürlich vergittert
und mit schräg nach oben gerichteten Glasscheiben gegen die
Sicht nach außen gesichert. Hin und wieder brüllte jemand
etwas aus einem Fenster. Das Ganze machte einen unwirklichen,
bedrohlichen Eindruck.
Ich klingelte und mit einem Summen öffnete sich die Tür. Mit
einem erneuten Summen öffnete sich die Innentür. Sie fiel hinter
mir schwer ins Schloss. Da war ich also, durchgefroren, ein
wenig ängstlich aber trotzdem guter Dinge. Vier Kollegen in
dunkelblauen Uniformen empfingen mich. Sie klopften mir auf
die Schultern und drückten ihre Freude darüber aus, dass endlich
mal wieder „junges Blut“ zu ihnen in den Knast kam. Ich war 25
Jahre alt – vielleicht halb so alt wie die Kollegen.
Siegmund, er hatte die meisten Sterne auf der Schulter, stellte
sich als der Wachhabende vor. Er machte die Diensteinweisung.
Ich bekam dabei das Wichtigste erklärt. Seine Worte halfen mir
wenig, mich einzufühlen in das Knastleben. Im Wesentlichen
erzählte er von den Verbrechern, die hier untergebracht sind und
den Gefahren, die von ihnen ausgehen.
Zum Abschluss händigte er mir ein Schlüsselbund mit zwei
durch einen Niet verbundenen Schlüsseln aus. Wieder folgte
eine ellenlange Belehrung über die Bedeutung des Bundes. Auf
keinen Fall darf ein Gefangener die Bärte sehen, weil sie die
sofort nachmachen könnten. Der Schlüssel darf nirgends aus der
Hand gelegt werden. Ein Verlust wäre das Schlimmste und hätte
ernste Folgen für mich. In dem Augenblick hätte es mich nicht
gewundert, wenn er noch hinzugefügt hätte, dass ich dann sofort
standrechtlich erschossen worden wäre.
Endlich war er mit seinem Gerede am Ende und der Dienst
begann.
Nachdem wir ein elektrisches und vier mechanische Gitter
passiert hatten, kamen wir im Dienstzimmer an. Zwei weitere
Kollegen begrüßten mich. Ich wurde kurz eingewiesen und
erhielt den Auftrag bei der Zählung die Meldung der Gefangnen
entgegenzunehmen. „Alles klar, kein Problem“, sagte ich.
Innerlich war ich aber wahnsinnig aufgeregt.
„Wir fangen in der 51 an. Da liegen die Arbeiter!“
Ich stand vor der „51“.“Na los „ machte mir ein Kollege Mut.
Vor Aufregung fand ich erst beim dritten Versuch das
Schlüsselloch. Ich schloss auf und die schwere Holztür öffnete
sich. Vor mir in langer Reihe Doppelstockbetten. Davor in zwei
Reihen die Gefangenen. Es roch unangenehm nach einer
Mischung aus Männerschweiß, Tabak und Essenresten.
Die Gefangenen hatten natürlich sofort gemerkt, dass ich neu
war. Sie grinsten mich an. Ein kräftiger, gefährlich aussehender
Hüne machte Meldung. Ich wusste vor lauter Aufregung und
Verlegenheit nicht wie und wohin ich sehen sollte und war froh
als sich die Tür wieder hinter mir schloss.
An diesem Abend habe ich dann auch noch die restlichen 150
Gefangenen kennengelernt.
Wir waren wieder in unserem Dienstzimmer. Nico, mein
Nachtschichtpartner, erklärte mir, dass wir jetzt das Licht auf
den Gängen löschen werden, weil uns sonst die Gefangenen
durch den Spion sehen könnten. Wir müssten alle 20 Minuten
Horch- und Sichtkontrollen machen. Alfred, ein alter Kollege,
grinste vor sich hin. Warum, musste ich später in der Nacht
schmerzlich erfahren.
Wie üblich wurde die Kaffeepause dazu genutzt allerlei
Gruselgeschichten über Ausbrüche, Übergriffe von Gefangenen,
Meutereien und Körperverletzungen durch Gefangene zu
erzählen. Mir wurde immer ängstlicher zu Mute. „Die Angst
darfst Du Dir nicht anmerken lassen“, dachte ich bei mir.
Jetzt, gegen 20.30 Uhr begann meine erste Runde. Draußen
tobte ein Schneesturm. Im Knast lag ein schauriges Heulen und
Zischen, vermischt mit einem unbestimmbaren Stimmengewirr
in der Luft. Es war stockdunkel. Vorsichtig tastete ich mich
voran. Hinter jeder Ecke, vor jeder Tür vermutete ich einen
ausbrechenden Gefangenen, der mich erschlagen wolle.
Als ich im dritten Stock angekommen war, gab es plötzlich
einen unheimlichen Knall, gefolgt vom Geräusch sich schnell
entfernender Schritte. Wie zur Salzsäule erstarrt stand ich an der
Wand, in der ich am Liebsten verschwunden wäre. Was war
das? Langsam, ganz langsam tastete ich mich zum
Dienstzimmer. Meine Herzfrequenz hatte ungesunde Werte
erreicht. Im ersten Stock konnte ich meine Kollegen hören. Ich
glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Sie unterhielten sich über
mich. „Der hat sich bestimmt in die Hosen geschissen.
Hoffentlich hat er keinen Herzschlag bekommen“, meinte
Alfred.
„So nicht, nicht mit mir“, dachte ich. Einen kurzen Augenblick
hielt ich inne. Aus dem Dienstzimmer hörte ich das leise Lachen
der Kollegen.
Als ich ins Dienstzimmer trat fragte mich Nico; „Na alles klar?“
„Man das ist ja unheimlich interessant, wenn man denen mal
zuhört! Macht richtig Spaß!“ Sie sahen mich erstaunt und
ungläubig an – ich sah mit meinem harmlosesten Blick zurück.
Schließlich verstanden sie und wir mussten lachen.
Meine erste Nacht wurde dann doch noch interessant und vor
allem ruhig.