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Es war nur erst einmal ein Versuch

Im Laufe der Jahre hatte sich mein Gewicht immer weiter
erhöht. Das Gleiche war bei Lutz der Fall. Wir haben uns immer
wieder darüber beraten und kamen zu dem Ergebnis, dass wir
ganz schön schwer sind. Doch was sollten wir machen? Ich
glaube es war Lutz der schließlich beschloss etwas zu
unternehmen.
Er holte sich einen Termin bei einer Ärztin im Klinikum Berlin
– Buch, die sich auf solche Kunden wie uns spezialisiert hatte.
Sie hatte, so wurde gesagt, eine Methode entwickelt, uns von
unserem Übergewicht zu befreien.
Lutz fuhr also hin und kam mit der Botschaft zurück, dass er ins
Krankenhaus zum Abnehmen geht.
Der Termin lag ziemlich nah.
Nach kurzer Zeit erhielten wir die ersten Rückmeldungen von
Lutz. Er lag in einem Zimmer mit 4 Patienten. Davon bekamen
3 nur minimal zu Essen, um abzunehmen und ein Patient erhielt
sehr kräftiges Essen, da er starkes Untergewicht hatte. In sehr
blumigen Bildern schilderte Lutz seine Gefühle, wenn es an die
Mahlzeiten ging. Wir waren uns einig, dass das einer Folter
gleichkommt. Da würde nur eine Beschwerde helfen. Im Laufe
der Zeit haben sich dann auch die Anderen bei der behandelnden
Ärztin beschwert. Das Ergebnis war positiv – der schlanke
Patient wurde verlegt in ein anderes Zimmer.
Nach 4 Wochen wurde Lutz entlassen. Er hatte ca. 20 Kilo
abgenommen und war zufrieden.
Es war aber nicht nur Lutz zufrieden, nein auch meine Frau war
zufrieden. „Siehst Du, es geht doch. Nimm Dir mal ein Beispiel
an ihm!“ Diese oder ähnliche Bemerkungen hörte ich immer
häufiger. „Du solltest dich vielleicht auch mal nach Buch
begeben und dich der Ärztin vorstellen.“ Das ging so eine ganze
Weile. Schließlich gingen mir die Ausreden aus und ich
besorgte mir den Termin.
Pünktlich um 09.00 Uhr am Morgen meldete ich mich dort an.
Eine ziemlich morgenmufflige Schwester notierte meinen
Namen und wies mir, mehr bestimmt als freundlich, einen Platz
im Wartesaal zu. Hier schienen alle Patienten des Klinikums
Buch zu warten. Ich wartete also. Aus Minuten wurden Stunden
und meine Gelassenheit verlies mich langsam. Gerade als ich
beschloss mich aufzuregen, schrie eine Stimme: „Herr
Meinhardt…“, durch den Saal. Alle drehten ihre Köpfe in meine
Richtung. Ich stand auf und schritt an dem Spalier der
Wartenden vorbei zu der offenen Tür, die die Stimme offen
gelassen hatte. Ich betrat den Raum und war erst einmal
beeindruckt. Der Raum war etwa 8 m lang und 4 m breit. Gleich
links von der Tür stand eine Liege, weiterhin standen an den
Wänden verschiedene Schränke, alle in weiß. Genau gegenüber
der Tür, vor einem großen Fenster, stand ein ebenfalls weißer
Schreibtisch, hinter dem eine zierliche, ältere Frau verschwand.
Als ich eintrat stand sie auf und ich hatte sofort das Gefühl: „Die
musst du stützen sonst fällt sie gleich um.“ Sie kam auf mich zu,
wies auf die Liege und meinte: „Legen sie sich da hin, aber
vorher ziehen sie die Hosen aus!“ „Hatte sie jetzt gesagt
HOSEN?“ Vorsichtshalber zog ich nur eine aus. Sie sah mich
von oben bis unten an und ich dachte: „Gott sei dank haste nur
eine Hose ausgezogen.“ Sie hob eine leicht gelbliche dürre Hand
Und piekste mit einem Finger auf meine Schienbein. Während
sie die kleine Delle die sich gebildet hatte, tastete sie mein Knie
ab.“ Sie haben Wasser in den Beinen und ihre Kniegelenke sind
auch kaputt. Es wird allerhöchste Zeit, dass sie abnehmen!“
Sie drehte sich um und verschwand wieder hinter ihrem
Schreibtisch. Vorher übergab sie mir noch eine Glasflasche mit
der Bemerkung, dass ich Urin abgeben soll. „Die Toilette ist
neben der Anmeldung links.“
Okay, ich ging also wieder quer durch den gut gefüllten
„Wartesaal“ mit meiner Flasche in der Hand, vorbei an der
Einen oder dem Anderen lächelnden Wartenden. Auf der
Toilette war es dann gar nicht so einfach die Flasche
ausreichend zu füllen. Besonders schlimm war der Weg zurück
mit der gefüllten Flasche in der Hand. Schließlich hatte ich es
geschafft. Ich brauchte nur noch 30 Minuten warten und wurde
dann wieder reingerufen. Jetzt durfte ich am Schreibtisch Platz
nehmen und die Auswertung begann.
„Ja, Herr Meinhardt, sie haben mein Gewicht als Übergewicht.
Das ist schlimm, nicht für mich, sondern für ihren Körper.
Lange macht der das nicht mehr mit. Sie haben schon jetzt
Wasser in den Beinen und kaputte Kniegelenke. Es wird Zeit,
dass wir was tun! Ich gebe ihnen ein Rezept von mir für
Knäckebrot mit. Sie müssen viel Gemüse essen. Hin und wieder
auch mal ein Hühnerbein, Sülze geht auch.“ Damit war ich
entlassen.
Hier gehst Du nicht mehr hin dachte ich bei mir. Zu Hause
erzählte ich nur, dass ich Hühnerbeine, Broiler und Sülze essen
darf. Meine Frau sah mich ungläubig an und glaubte natürlich
kein Wort. Ich bekannte Farbe und erzählte alles. Wir
versuchten es aber trotzdem und buken noch das Knäckebrot.
Meiner Meinung nach war es ungenießbar. Es sah aus wie
verbrannte Pappe und schmeckte auch so. Unser Sohn allerdings
hat die Menge, die wir gebacken hatten auch gegessen.
Mit Lutz habe ich den Besuch dann noch ausgewertet. Er hat
sich köstlich amüsiert und mir mitgeteilt, dass das seine Ärztin
aus dem Krankenhaus war. Sie ist manchmal etwas unfreundlich
und im Übrigen eine konsequente Vegetarierin ist. Sie hat es
sich zur Aufgabe gemacht, eigene Rezepte zu entwickeln, mit
denen sie dann ihre Patienten „beglückt“.
Ich bin dann allerdings nicht wieder bei ihr gewesen.