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drjaw

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Kartoffeln stoppeln

So, wir haben die ersten 6 Wochen des neuen Schuljahres
geschafft. War eigentlich recht interessant. Doch was jetzt
kommt wird sicher viel interessanter.
Am Montag fahren wir für eine Woche zum Kartoffeln stoppeln.
Komischer Ausdruck! Nun mal sehen was die Erwachsenen
sich da Komisches ausgedacht haben. Bisher habe ich mir
eingebildet, dass man Kartoffeln nur essen kann. Dass man sie
auch stoppeln kann wusste ich gar nicht. – Verstehe einer die
Erwachsenen! –
Am Montag treffen wir uns alle vor der Schule. 07.00 Uhr, in
den Ferien, das ist der erste Minuspunkt.
Mit einer Verspätung von 20 Minuten faucht und klappert ein
LKW heran und hält genau vor uns. Aus dem Fahrerhaus springt
ein dicker, kräftiger Mann. Er trägt einen blauen Arbeitsanzug
und schwere Gummistiefel. Jedem von uns gibt er die Hand. Die
Mädchen knicken leicht ein und schütteln ihre Hände nach der
Begrüßung.
Der hat aber auch eine Riesenpranke! Steinhart und sein
Händedruck verrät, dass er es gewohnt ist schwer zu arbeiten.
Aufmerksam sieht er uns an und prüft dabei, ob wir auch richtig
angezogen sind.
Offensichtlich ist er mit dem Ergebnis seiner Betrachtung
zufrieden, denn er lächelt. 28 Großstadtkinder fertig zum
Kartoffeln stoppeln.
„Na, alles klar?“ „Jaaaaa,“ klingt es aus 28 Kehlen.
„Juut, denn wolln wer ma!“
Er öffnet am Heck des LKW eine Klappe und wir steigen auf.
Zuerst die Mädchen, dann wir Jungs. Es kommt zum Stau, weil
jeder an der Klappe sitzen will, um besser sehen zu können .
Schließlich haben wir es dann doch geschafft – der LKW springt
scheppernd an und rumpelt los.
Es ist sehr schönes Wetter. Die Sonne strahlt, als ob sie die
vielen Schlechtwettertage an einem Tag wieder gut machen
möchte.
Wir alle sind guter Stimmung. 28 11 und 12 jährige Schüler auf
dem Weg zur LPG Barleben.
Nach einer endlos langen Fahrt halten wir auf einem Acker.
„Hm, hier also sollen Kartoffeln gestoppelt werden?!

Gar keine zu sehen! Werden bestimmt noch gebracht?!“
Zwei Bauern empfangen uns und öffnen die Klappe am LKW.
„Hier scheinen alle Leute freundlich zu sein. Auch sie lächeln
uns an.““ Na, dann kommt mal runter!“
Wir springen runter und sind gespannt, was jetzt kommt.
Ein großer, kräftiger Mann begrüßt uns und fängt an unseren
Einsatz zu erklären:
„Wir werden also heute und in den nächsten Tagen Kartoffeln
stoppeln. Unsere Erntemaschine kann nicht alle Kartoffeln
ernten, darum müssen wir auch den Rest aus der Erde holen.
Das nennt man stoppeln. Jeder bekommt eine Reihe.“
Wir sehen uns an und denken erst einmal:“Aha!“
„Ihr müsst die Kartoffeln aus der Erde rauskratzen! Nachher gibt
es dann was zu essen!“ Diese Ansage treibt uns, jedenfalls die
meisten, voran.
Sofort wird beschlossen einen Wettbewerb zu starten, wer am
Schnellsten die meisten Kartoffeln aus der Erde bekommt. Jede
Reihe ist ungefähr 150 m lang.
Es geht los. Wir buddeln und wühlen und die Körbe füllen sich.
Nach 30 m blicke ich das erste Mal hoch. „Na ja, liege gar nicht
so schlecht. Zweiter Platz bisher.“ Plötzlich hinter mir eine
strenge Stimme: „Komm doch mal her! Was ist denn das?“ Fast
hätte ich gesagt – Kartoffeln. „Du musst natürlich gründlicher
stoppeln!“ Also nochmal zurück und nachgesammelt. Nach 50
m fange ich an zu schwitzen und wünsche mir Wolken an den
Himmel, die die Sonne verdecken. Nach 100 m tut mir der
Rücken weh und ich beginne über den Acker zu kriechen. Ich
bin wieder auf den dritten Platz vorgerückt und sehne das Ende
der Reihe herbei.
Da ertönt ein greller Pfiff und eine tiefe, kräftige Stimme ruft
das erlösende Wort: „ Pause!“
Ich überlege, ob ich zur Pause krieche oder doch laufe. Ziemlich
krumm lange ich an der Sammelstelle an.
Große Stullen mit Schmalz auf ganz frischem Brot – lecker.
Noch nie hat mir bis dahin Schmalzstulle so toll geschmeckt.
Neben uns liegt ein großer Haufen Kartoffeln. Die haben alle
wir gestoppelt. Ich bin stolz auf uns. Da meldet sich wieder
mein lahmer Rücken. Alle Achtung, das machen die Bauern nun
jedes Jahr, nur damit wir mittags Kartoffeln essen können.

Trotz ihrer schweren Arbeit sind sie noch so freundlich.
Wahrscheinlich haben sie gar keine Wirbelsäule mehr vom
vielen bücken. Ich habe jedenfalls eine, das merke ich. Vor der
Leistung der freundlichen Bauern habe ich größte Hochachtung.
Mal sehen, was mir der Rest der Woche bringt!